Rückblick 2020 – wie alles begann

Rückblick 2020 – wie alles begann

Das Jahr, in dem ich dialysepflichtig wurde, war für uns alle kein einfaches Jahr. Quasi mit Beginn des Covid Lockdowns wurden meine Nierenwerte so schlecht, dass eine Ersatztherapie unumgänglich wurde. Erstaunt war ich, dass mir hier neben der Hämodialyse die Möglichkeit der Bauchfelldialyse erklärt wurde und ich war sofort ziemlich sicher, dass dies die Methode der Wahl für mich sein würde. Ein großer Vorteil dabei ist nicht nur, das es in allen Belangen schonender für den Körper ist, sondern in erster Linie Unabhängigkeit vom Zentrum bietet, da man diese nach der Schulung in Eigenregie (fast) überall durchführen kann. Gesagt getan, im Mai 2020 wurde mir der Katheter gelegt, über den man die Lösungen in den Bauchraum einfüllt und nachdem dieser richtig eingeheilt war, begannen die Schulungen, sodass ich Anfang Juni mit der Dialyse starten konnte.

Jetzt ist ja mein guter Frank ein reisefreudiger Mensch und zudem sehr findig im Entwickeln von Lösungen und meinte, im Hinblick auf Corona, meine Anfälligkeit für einen schweren Verlauf (damals gabs noch keine Impfung und man wusste noch nicht viel über die Erkrankung) und der Dringlichkeit der Vermeidung von Kontakten wäre doch ein Hausboot-Urlaub genau das Richtige, um sich der Zivilisation weitestgehend zu entziehen. In Frankreich darf man Hausboote ohne Bootsführerschein fahren und der Canal du Midi unten im Süden wäre doch toll mal zu machen.

Hausboot? Weg von Zivilisation? Mit Dialyse? ja klaaaar….. Ich bin erst mal perplex und weiß nicht recht, ob ich lachen oder weinen soll….Aber da ich schon immer nach dem Motto gelebt habe „no risk, no fun“ denke ich mir „ok, probieren wir es“ wird schon schief gehen…also buchen wir und Ende September 2020 solls los gehen. Zum ersten Mal, gleich ein paar Monate nach Start der Dialyse. Als dann im August/September in der angedachten Region die Coronazahlen in die Höhe gehen, buchen wir auf eine total ländliche Gegend auf der Saône um, wo es außer Dörfern nur sehr viel Landschaft und noch mehr Kühe gibt. Hier sind die Corona-Zahlen mit die niedrigsten in ganz Frankreich.

Da wo der rote Pfeil hin zeigt, da bin ich (Anja)

Wir reisen Samstags an, packen mein Material und Einkäufe für eine Woche an Bord und dürfen nach einer Einweisung mit Probefahrt starten. Was für ein Abenteuer! Leider haben wir ziemlich Pech mit dem Wetter, es ist kalt (mir ist sowieso immer kalt und seit der Dialyse noch dreimal mehr) und regnerisch. Anstregend ist das Schleusen, wobei der Mann am Ruder und der Bootsmann (ich) gut zusammenspielen müssen, da zum Aktivieren der Schleusentore ein Knauf gezogen werden muss, der in Flussmitte an einem quer über den Fluss gespannten Seil gezogen werden muss. Wobei der Steuermann das Boot mit Gefühl möglich nah ran an diese Strippe steuern muss und der Depp, der vorne im Bug steht (immer noch ich) versucht,, diese nach Unten zu ziehen ohne dabei über Bord zu gehen oder sich die Strippe um die Ohren zu hauen oder zu verpassen. Verpassen bedeutet umkehren und erneut ansteuern und über Bord gehen…na ihr wisst schon…

Für meine Wechsel habe ich die Reisetasche von Baxter dabei, worin die Beutel auf Körpertemperatur aufgeheizt werden. Diese kann über jede Steckdose, oder per Adapter auch an Zigarettenanzünder mit 12 Volt betrieben werden. Im Boot gibt es einen solchen Anschluss. Die Beutel hänge ich an dem Griff der Dachluke über dem Innenruder auf und genieße die vorbeiziehende Landschaft während ich dort sitze (ein Wechsel dauert mit Ein- und Auslauf etwa eine halbe Stunde).

Das Entsorgen der Lösungen gestaltet sich auf dem Boot recht einfach: Beutel, bzw. Schläuche über die Kante hängen und laufen lassen. Die leeren Beutel rolle ich zusammen und sammle diese in einer Mülltüte, bis wir zur Entsorgung im nächsten Hafen fest machen.

Ein kleines „Histörchen“ will ich von der Tour noch berichten (sorry Liebling, spektakuläre Ereignisse, Pleiten, Pech und Pannen wollen erzählt sein), ein großer Schreckensmoment….ich sizte da so unter Deck mit dem Beutel anhängend vor mich hin und freue mich meines Lebens, als ich plötzlich das Ufer auf mich zurasen sehe! Tausend Gedanken schießem mir durch den Kopf, blitzschnell analysiere ich die Situation und denke nur „mein Mann liegt bewußlos an Deck, wir prallen gehen das Ufer und kentern, ich mit Schlauch am Bauch“ Au weia. Geistesgegenwärtig ergreife ich Maßnahmen und nehme erst mal Speed raus, da ich ja direkt am Innensteuerstand sitze und reiße das Ruder rum. So abgefedert touchieren wir, bereits abdrehend, das Ufer mit der Böschung nur und reißen ein paar Weidenzweige mit. Eher Äste. Ich mit 120 Puls und 200 Blutdruck, schnappe mir den immer noch anhängenden Beutel und klettere aus der Luke nach Oben, um nach Frank zu sehen. Der mich recht unerfreut darauf aufmerksam macht, dass das Herausnehmen der Geschwindigkeit ja erst sein angedachtes Manöver einer schnellen Wende verhindert hätte. Mit bleibt die Luft weg. Was war passiert? Dem Herrn Gemahl war die Trinkflasche von der Ablage gerollt und er hinterher gesprungen, damit sie nicht über Bord geht. Dabei hat er wohl „vergessen“, Gas weg zu nehmen und so nahm das Unglück seinen Lauf. Heute lachen wir natürlich beide darüber, aber in der Situation dachte ich, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, sah mich schon mit anhängendem Beutel im eiskalten Wasser der Saonne um mein Leben schwimmen…

Ansonsten war es aber trotz schlechtem Wetter eine tolle Erfahrung mit dem Boot unterwegs zu sein, auch wenn es für mich körperlich sehr anstrengend war. Gerne wieder mal bei Gelegenheit, dann aber ganz sicher in wärmeren Gefilden…

3 thoughts on “Rückblick 2020 – wie alles begann

  1. Ihr seid echt die Coolsten 😎
    Und ihr macht das echt genau richtig. Von so einer Krankheit darf man sich nicht das schöne Leben nehmen lassen.
    Ich wünsche euch eine supertolle Reise!

      1. Ja ja, je weiter das Ereignis zurückliegt, desto dramatischer erscheint es, gelle? In Wahrheit war sie nur vom Steuerpult zu Boden gefallen und etwas weggerollt, aber „Springen“ war nicht nötig. Dennoch haben ein paar Sekunden Ablenkung ausgereicht, um die Situation auf einem gut 50-100m breiten Fluss beinahe eskalieren zu lassen. Diese Lektion habe ich gelernt: Niemals denken, dass man mal schnell was so nebenbei machen kann, bevor man nicht die Sicherheit des Bootes und der Besatzung sichergestellt hat!

        Und auch von mir noch ein Danke für deinen Kommentar.

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